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Anlage N

Zusammenfassung / Begriff

Bei bestimmten außerordentlichen Einkünften sieht § 34 EStG eine Billigkeitsregelung vor zur Milderung der Spitzenbelastung des ESt-Tarifs.

Begünstigt sind nach § 34 EStG insbesondere 

  • Gewinne aus der Veräußerung eines ganzen gewerblichen oder freiberuflichen Betriebes;
  •  Entschädigungen und Nutzungsvergütungen (§ 24 EStG), insbesondere als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen oder für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung oder einer Anwartschaft auf eine solche;
  • Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten; mehrjährig ist eine Tätigkeit, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. 

Voraussetzung ist jeweils, dass die Einkünfte in einem Kalenderjahr zu erfassen sind und durch die Zusammenballung der Einkünfte eine erhöhte steuerliche Belastung entsteht.

Nach § 34 EStG wird die Spitzenbelastung bei außerordentlichen Einkünften abgemindert unter Anwendung der sog. Fünftelregelung oder durch einen niedrigeren Tarif. 

  • Fünftelregelung

Dabei erfolgt eine steuerliche Entlastung, indem der ESt-Tarif auf die begünstigten außerordentlichen Einkünfte nur mit einem Fünftel ihres Werts angesetzt und die sich hieraus ergebende Steuer verfünffacht wird (§ 34 Abs. 1 Satz 2 EStG / Fünftelregelung). 

  • Außerordentliche Einkünfte 

Außerordentliche Einkünfte sind solche, deren Zufluss in einem Kalenderjahr zu einer für den Steuerpflichtigen zu einer einmaligen und außergewöhnlichen Progressionsbelastung führt. Diese abzumildern ist der Zweck des § 34 Abs. 1 und 2 EStG. Danach liegen keine außerordentlichen Einkünfte vor, wenn eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit in zwei oder mehr Kalenderjahren gezahlt wird. Zwar können sich auch bei einer Zahlung in zwei oder mehr Jahren Progressionsbelastungen ergeben. Diese Belastungen müssen aber in Kauf genommen werden (BFH Urteil vom 2.9.1992, XI R 63/89).

Ausnahmen 

Die Steuerverwaltung hat aber von dem vorgenannten Grundsatz begrenzte Ausnahmen zugelassen.

BFH Urteil vom 13.10.2015, IX R 46/14:  So ist trotz des Zuflusses in zwei Jahren die Fünftelregelung auch dann anzuwenden, der Steuerpflichtige in einem Kalenderjahr nur eine geringfügige Teilleistung erhält und die ganz überwiegende Leistung in einem Betrag ausgezahlt wird.  Eine geringfügige Nebenleistung wird angenommen, wenn sie nicht mehr als 10 % der Hauptleistung beträgt 

Die Richter am BFH führten dazu aus: 

Würde bei einer geringen Nebenleistung in einem anderen Kalenderjahr die Tarifermäßigung auf die Hauptleistung versagt, stünde der Steuerpflichtige besser da, wenn er die Teilauszahlung nicht erhalten hätte. Die Teilauszahlung würde (vor Steuern) noch nicht einmal den steuerlichen Nachteil ausgleichen, den sie verursacht hat. Dieses Ergebnis würde zu wirtschaftlich unsinnigen Gestaltungen Veranlassung geben. Dies verdeutlicht, dass die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach dem Zweck des Gesetzes trotz der Teilzahlung zur Abmilderung der einmaligen individuellen Progressionssteigerung im Streitjahr noch geboten ist.

♦   Steuerermäßigung bei außerordentlichen Einkünften

Außerordentliche Einkünfte sind steuerpflichtig, können aber steuerbegünstigt sein

  • nach der sog. Fünftelregelung
  • mit 56 % des durchschnittlichen Steuersatzes bei einem Alter von mindestens 55 Jahre (§ 34 Abs. 1 und Abs. 3 EStG) 
Die Fünftelregelung gilt ab 2024 nicht mehr im Lohnsteuerabzugsverfahren.  Dies hat zur Folge: Erfüllt der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die ermäßigte Besteuerung, muss er zunächst die "reguläre" Lohnversteuerung beim Arbeitgeber hinnehmen und kann die Tarifermäßigung erst im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen
  • Mehrjährige Tätigkeit

Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4  2. Halbsatz EStG ist eine Tätigkeit mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. Allerdings reicht es nicht aus, dass der Arbeitslohn in einem anderen Veranlagungszeitraum als dem zufließt, zu dem er wirtschaftlich gehört, und dort mit weiteren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zusammentrifft. Die Entlohnung muss vielmehr für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit sein, die Vergütung folglich für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden.

  • Überstundenvergütung

Die genannten Grundsätze gelten auch für den Fall der nachträglichen Auszahlung von Überstundenvergütungen, soweit die Vergütungen für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden. Umfasst der Zeitraum, für den Überstunden veranlagungszeitraumübergreifend vergütet werden, mehr als zwölf Monate, ist danach die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4  2. Halbsatz EStG zu gewähren (BFH Urteil vom 02.12.2021 - VI R 23/19). Im Streitfall hatte der Arbeitnehmer 330 Überstunden aufgebaut.

♦  Fünftelregelung 

Entschädigungszahlungen (Abfindungen) des Arbeitgebers wegen Auflösung des Dienstverhältnisses werden unter Anwendung der sog. Fünftelregelung ermäßigt besteuert. Die Steuer für die Abfindung wird dabei aus einem Fünftel des gezahlten Betrages berechnet und sodann verfünffacht. Dazu sollte insbesondere darauf geachtet werden, dass die Zahlungen in einer Summe geleistet, also nicht auf mehr als ein Jahr verteilt werden (§ 34 EStG).

  •  Fünftelregelung und ihre Voraussetzungen

Die Anwendung der ermäßigten Besteuerung nach § 34 EStG setzt u.a. voraus, dass die Entschädigungsleistungen zusammengeballt in einem Kalenderjahr zufließen. Eine ermäßigte Besteuerung kommt insbesondere nicht in Betracht, wenn die Abfindung in zwei etwa gleich hohen Beträgen in unterschiedlichen Kalenderjahren zufließt (BFH 14.4.2015 - IX R 29/14).

Der Zufluss mehrerer Teilbeträge in unterschiedlichen Kalenderjahren ist deshalb grundsätzlich schädlich. Dies gilt nicht, soweit es sich um eine im Verhältnis zur Hauptleistung stehende geringfügige Zahlung handelt, die in einem anderen Kalenderjahr zufließt. Aus Vereinfachungsgründen wird es nicht beanstandet, eine geringfügige Zahlung anzunehmen, wenn diese nicht mehr als 10 % der Hauptleistung beträgt (BMF 04.03.2016 - IV C 4 - S 2290/07).

Beispiel:

Ein Arbeitnehmer erhält nach Ausscheiden aus dem Betrieb zum 31.12. eine Abfindung von 36.000 €. Aus dem Aufhebungsvertrag geht hervor, dass der Arbeitnehmer einen betrieblichen PKW für ein Jahr weiterhin nutzen darf. Der Nutzungswert des betrieblichen PKW beträgt monatlich 500 € = 6.000 € im Kalenderjahr.

Der Nutzungswert von 6.000 €, der im nächsten Jahr zufließt, ist nicht als geringfügig im Vergleich zur Hauptleistung einzustufen. Er beträgt mehr als 10 % (6.000 : 36.000 x 100 = 16.66 %). Die Abfindung ist somit nicht steuerbegünstigt.

  • Fünftelregelung bei Kapitalauszahlung einer Pension 

Versorgungsleistungen aus der betrieblichen Altersversorgung aufgrund einer Direktzusage (Pensionszusage) oder einer arbeitgebereigenen Unterstützungskasse können auch in einer Summe ausgezahlt werden. In diesem Fall handelt es sich um Vergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, für die die Fünftelregelung anzuwenden ist (BMF, Schreiben vom 18.03.2022). 

  • Fünftelregelung auch für Minijobber

Auch Minijobber haben Anspruch auf Abfindung. Nach mehreren Jahren im Minijob haben Sie die Brocken hingeschmissen, weil die Gesundheit nicht mehr mitspielt? Vergessen Sie nun aber nicht, eine Abfindung zu verlangen. Bringen Sie dazu die Dauer Ihrer Betriebszugehörigkeit ins Spiel. Ein sicherer Weg ist, wenn Sie Ihren Anspruch auf Abfindung über einen Fachanwalt für Arbeitsrecht stellen. Gegenüber einem Fachanwalt für Arbeitsrecht helfen keine faulen Ausreden (§ 40a Abs. 2 EStG).

Einen größeren praktischen Fall finden Sie im folgenden Beitrag 2.2.7

♦   56 % des durchschnittlichen Steuersatzes

Alternativ zur Fünftelregelung können außerordentliche Einkünfte auch mit 56 % besteuert werden (§ 34 Abs. 3 EStG).

Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so kann auf Antrag die auf den Teil dieser außerordentlichen Einkünfte, der den Betrag von insgesamt 5 Millionen Euro nicht übersteigt, entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz bemessen werden, wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder wenn er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist. 2Der ermäßigte Steuersatz beträgt 56 Prozent des durchschnittlichen Steuersatzes, der sich ergäbe, wenn die tarifliche Einkommensteuer nach dem gesamten zu versteuernden Einkommen zuzüglich der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte zu bemessen wäre, mindestens jedoch 14 Prozent. 3Auf das um die in Satz 1 genannten Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) sind vorbehaltlich des Absatzes 1 die allgemeinen Tarifvorschriften anzuwenden. 4Die Ermäßigung nach den Sätzen 1 bis 3 kann der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen. 5

Tipp Entschädigungen wegen sozialer Fürsorge unschädlich

Auch spätere Leistungen aufgrund sozialer Fürsorge sind steuerlich unschädlich. Werden zusätzliche Entschädigungsleistungen, die Teil einer einheitlichen Entschädigung sind, aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit in späteren Kalenderjahren gewährt, sind diese für die Beurteilung der Hauptleistung als einer zusammengeballten Entschädigung unschädlich, wenn sie weniger als 50 % der Hauptleistung betragen.

Die Vergleichsrechnung ist hier durch Einnahmenvergleich vorzunehmen.

Zusatzleistungen aus Gründen der sozialen Fürsorge sind beispielsweise solche Leistungen, die der (frühere) Arbeitgeber seinem (früheren) Arbeitnehmer zur Erleichterung des Arbeitsplatz- oder Berufswechsels oder als Anpassung an eine dauerhafte Berufsaufgabe und Arbeitslosigkeit erbringt. Sie setzen keine Bedürftigkeit des entlassenen Arbeitnehmers voraus. Soziale Fürsorge ist allgemein im Sinne der Fürsorge des Arbeitgebers für seinen früheren Arbeitnehmer zu verstehen. Ob der Arbeitgeber zu der Fürsorge arbeitsrechtlich verpflichtet ist, ist unerheblich. ZU den Fürsorgemaßnahmen zählen:

a) Outplacement-Beratungen, um schneller an einen neuen Job zu kommen (BFH, 14.8.2001,  XI  R 22/00).

b)  Kurzzeitige Weiterbenutzung des Firmenwagen / Dienstwagens (BFH 3.7.2002, XI R 80/00)

c)  Spätere Aufstockung der Abfindung aus einem Sozialplan oder aus sozialer Fürsorge (BFH, 21.4.2002, XI R 33/02)

d)  Weitere Nutzung einer Werkswohnung zu einer günstigen Miete (BMF, 18.12.1998, IV A 5 - S 2290 - 18/98)

e)  Nachzahlung in späteren Jahren (BMF, 24.05.2004, IV A 5 - S 2290 - 20/04)

Quelle: BMF, 01.11.2013, IV C 4 - S 2223/07/0018

Tipp Abfindung mit Pensionszusage kombinieren

Mit der Fünftelregelung nach § 34 EStG kommen Sie schon relativ günstig davon, Ihre Abfindung zu versteuern. Bei der Fünftelregelung wird die Steuer für die Abfindung zunächst aus einem Fünftel des gezahlten Betrags berechnet und sodann verfünffacht. Damit wird der Progression die Spitze gebrochen.

Wenn Sie indessen Ihre Abfindung ganz oder zum Teil in Ihre Altersversorgung investieren, ist die Abfindung insoweit in voller Höhe steuerfrei (§ 3 Nr. 63 EStG). Sie können für jedes Jahr Ihrer Betriebszugehörigkeit nach dem 31.12.2004 aus den Mitteln der Abfindung 1.800 € steuerfrei  in eine Direktversicherung investieren.

Haben Sie indessen schon vorher steuerfreie Zahlungen in eine Pensionskasse, Direktversicherung oder einen Pensionsfonds erhalten, wird der vervielfältigte Höchstbetrag nach § 3 Nr. 63 EStG um die steuerfreien Beträge der letzten sieben Jahre gekürzt.

Beispiel:

Ein Arbeitnehmer erhält nach 8 Jahren Betriebszugehörigkeit eine Abfindung von 50.000 €. Eine betriebliche Altersversorgung hatte er bislang nicht. Er möchte den Höchstbetrag aus § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei in eine Direktversicherung investieren.

Mehr erfahren: ? Suchen anklicken und den Begriff >Direktversicherung< eintragen.

Und so wird gerechnet:

Abfindung 50.000 €
Davon steuerfrei 1.800 € x 8 Jahre 14.400 €
Verbleiben - begünstigt zu besteuern 35.600 €

 

♦   Entschädigungen von Dritten / Versicherungsleistungen

Bei Entschädigungen wegen Körperverletzung ist zu unterscheiden zwischen Beträgen, die den Verdienstausfall ersetzen und solchen, die als Ersatz für Arzt- und Heilungskosten und die Mehraufwendungen während der Krankheit, sowie als Ausgleich für immaterielle Einbußen in Form eines Schmerzensgeldes gewährt werden.

Nur soweit entgangene oder entgehende Einnahmen auf Grund der verminderten Erwerbsfähigkeit ersetzt werden, ist eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gegeben und – tarifbegünstigt – steuerpflichtig (BFH 11.10.2017 - IX R 11/17).

Ersatz für Arzt- und Heilungskosten und die Mehraufwendungen während der Krankheit, sowie als Ausgleich für immaterielle Einbußen in Form eines Schmerzensgeldes gewährt werden sind nicht steuerpflichtig, ggfs. mit entstandenen Kosten, die als außergewöhnliche Belastungen infrage kommen, zu verrechnen.