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Anlage Kind

Kann sich Ihr volljähriges Kind wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht selbst unterhalten, haben Sie Anspruch auf Kindergeld oder Kinderfreibeträge auch dann, wenn Ihr Kind älter als 25 Jahre ist. Maßgebend ist, dass Ihr Kind über keine ausreichenden eigenen Einkünfte und Bezüge oder Vermögen verfügt, mit denen es seinen Unterhalt selbst bestreiten könnte. Weitere Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist (§ 32 Abs. 4 Nr. 3 EStG).

Einkünfte und Bezüge bis zur Höhe des Grundfreibetrages von 10.347 € (Wert für 2022) muss das Finanzamt zulassen. Die Obergrenze erhöht sich um den Behinderten-Pauschbetrag des Kindes.

Dazu ? Suchen anklicken und den Begriff >Behinderten-Pauschbetrag< eintragen.

♦    Kindeseigene Mittel bei Behinderung

Hat das behinderte Kind keine eigenen Einkünfte oder Einkünfte bis zur Höhe des Grundfreibetrags plus Behinderten-Pauschbetrag, steht den Eltern der Abzug von Kinderfreibeträgen zu.

  • Fähigkeit zum Selbstunterhalt prüfen

Die Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs des gesamten existenziellen Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits zu prüfen (BFH Urteil vom 27.10.2021 - III R 19/19).

Ob das behinderte Kind über Einkünfte und Bezüge verfügt, die seinen existenziellen Grundbedarf und den individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf decken, lässt sich zutreffend nur ermitteln, wenn der Bedarf und die verfügbaren finanziellen Mittel des Kindes bei der Vergleichsrechnung im Einzelnen betrachtet werden. Denn dadurch wird die für § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG maßgebliche tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des Kindes bestimmt.

Das Kind (K) ist seit seinem 14. Lebensjahr mit einem Grad der Behinderung von 70 und dem Merkzeichen "G" schwerbehindert. K wohnt in einer stationären Einrichtung und ist  bei der Stadt U im allgemeinen Verwaltungsdienst beschäftigt und erhielt für die Vollzeittätigkeit ein Bruttogehalt von … € (1.443 € …). Der Landschaftsverband Westfalen Lippe beteiligt sich mit monatlich … € an den Kosten für seine Unterbringung und Betreuung in der Einrichtung.

Auf der Bedarfsseite waren 4.535 € in die Vergleichsrechnung einzustellen. Dem stehen eigene verfügbare Mittel des K in Höhe von 4.861 € gegenüber.

Danach hat  FG izu Recht angenommen, dass K mit seinen Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit und mit der Eingliederungshilfe über ausreichende Mittel verfügt, um seinen Grundbedarf und seinen behinderungsbedingten Mehrbedarf zu decken. 

♦   Behinderung durch Gen-Defekt erst im Alter

Liegt bei einem Kind ein Gendefekt vor, der vor Erreichen des 25. Lebensjahres zu keiner Behinderung und/oder zu keiner darauf beruhenden Behinderung geführt hat, scheidet ein Anspruch auf Kinderfreibeträge / Kindergeld aus (BFH Urteil vom 27.11.2019 - III R 44/17).

Im Streitfall ist der Kläger Vater einer Tochter, die erst ab ihrem 30 Lebensjahr an einer erblich bedingten Muskelerkrankung leidet. Erste Symptome traten indessen bereits im Alter von 15 Jahren auf, z. B. Probleme beim Laufen und gelegentliche Versteifungen der Handmuskulatur. Die Familienkasse lehnte den Antrag auf Kindergeld für das Kind ab, weil die Behinderung nicht vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten sei.

Der BFH hat das Finanzgericht aufgefordert, im zweiten Rechtsgang zu prüfen, ob der Gendefekt bereits vor Erreichen der Altersgrenze zu Funktionsbeeinträchtigungen bei dem Kind geführt hatte.