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Verfahrensrecht / Abgabenordnung (AO)

Zusammenfassung / Begriff

Nach Ablauf der Einspruchsfrist von einem Monat ist der Steuerbescheid rechtskräftig, sofern er nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder vorläufig ergangen ist. Ein solcher Bescheid kann im Interesse der Rechtssicherheit nur unter bestimmten Voraussetzungen geändert werden. 

Rechtskräftige Steuerbescheide können nur geändert werden, wenn hierfür nachträglich neue Tatsachen / Beweismittel oder Schreib- oder Rechenfehler bekannt werden (§§ 172 bis 175 AO).

Ist die sog. Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 AO von vier  Jahren abgelaufen, ist eine Änderung des Bescheides überhaupt nicht mehr möglich. Dazu unten mehr.

♦   Festsetzungsfrist abgelaufen?

Eine Änderung ist indessen völlig ausgeschlossen, wenn die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 AO bereits abgelaufen ist. Man spricht auch von Festsetzungsverjährung. Die Bearbeitung verjährter Veranlagungsjahre ist endgültig abgeschlossen, die "Akten" für festsetzungsverjährte Jahre sind bereits "in den Keller" verlagert. 

Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre; die Festsetzungsfrist beträgt zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist.

Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist und endet mit Ablauf des vierten Jahres (§ 170 Abs. 1 AO).

Der Lauf der Frist kann durch bestimmte Umstände gehemmt werden, z. B. durch ein laufendes Steuerverfahren, wodurch im Prinzip die Frist verlängert wird (Ablaufhemmung gem. § 171 AO).

⇒   Änderungsmöglichkeiten nach Rechtskraft

Welche Änderungsmöglichkeiten sieht das Gesetz vor?

♦   Änderung wegen neuer Tatsachen und Beweismittel

Steuerbescheide sind gem. § 173 Abs. 1 AO aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die

  1. zu einer höheren Steuer führen, sofern das Finanzamt die ihm obliegende Ermittlungspflicht nicht verletzt hat;
  2. zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen an deren nachträglichem Bekanntwerden kein grobes Verschulden trifft.

Dies bedeutet: Können neue Tatsachen oder Beweismittel zu einer höheren Steuer führen, hat der Fiskus leichtes Spiel. Er kann den alten Steuerbescheid ändern und höhere Steuern festsetzen. Können neue Tatsachen oder Beweismittel zu einer niedrigeren Steuer führen, baut der Gesetzgeber eine Hürde auf: Es darf Ihnen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden angelastet werden. Dazu unten mehr.  

  • Tatsachen / Beweismittel für höhere Steuer

Tatsachen / Beweismittel sind alle Sachverhalte, die für die Steuerfestsetzung bestimmend sind (Besteuerungsgrundlagen), wie z. B. das Bekanntwerden höherer Einkünfte wegen zusätzlicher Einnahmen oder nicht abzugsfähiger Ausgaben. . 

  • Tatsachen / Beweismittel für niedrigere Steuer

Änderungen aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel sind gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO auch zugunsten des Steuerpflichtigen möglich, z. B. das Bekanntwerden von abzugsfähigen Ausgaben. Dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass den Steuerpflichtigen, und das ist der springende Punkt, kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden trifft. 

Grobes Verschulden

Unter grobem Verschulden ist Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zu verstehen. Letztere ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt. 

Ein grobes Verschulden liegt laut ständiger Rechtsprechung des BFH insbesondere vor,

  1. wenn ein Steuerpflichtiger bei seiner Steuererklärung im Vordruck gestellte Fragen zu einem ganz bestimmten Vorgang nicht beantwortet (also z. B. eine Zeile unausgefüllt lässt) oder
  2. ausdrückliche Hinweise im Erklärungsvordruck oder in den amtlichen Erläuterungen zur Einkommensteuererklärung oder
  3. sonstige Merkblätter und Hinweise des Finanzamts nicht beachtet hat.

Auf mangelnde steuerrechtliche Kenntnisse kann sich Niemand berufen – allenfalls darauf, dass die Hinweise missverständlich oder unverständlich waren. Darauf kann ihm allerdings entgegengehalten werden, es sei ihm zumutbar und möglich gewesen, sich beim Finanzamt kundig zu machen.  Subjektiv entschuldbare Rechtsirrtümer eines Steuerpflichtigen ohne einschlägige Ausbildung stellen also keine grobe Fahrlässigkeit dar.

Grobes Verschulden liegt dagegen vor, wenn der Steuerpflichtige eine im Erklärungsformular ausdrücklich gestellte und für ihn verständliche Frage nur deshalb nicht oder nur unvollständig beantwortet, weil er infolge eines Rechtsirrtums der Ansicht ist, die unterlassenen Angaben hätten in seinem Einzelfall keine Auswirkung.

Es besteht keine allgemeine Rechtspflicht, vor dem Ausfüllen der Steuererklärung fachkundigen Rat einzuholen. Holt der Steuerpflichtige sich aber fachunkundigen Rat ein, also den Rat einer zur Hilfeleistung in Steuersachen nicht befugten Person, ist ihm dies als grobes Verschulden anzulasten.

Es liegt in der Natur des unbestimmten Rechtsbegriffs "grobes Verschulden", dass er – insbesondere vor dem Hintergrund des komplexen Steuerrechts und der bisweilen schwer zu verstehenden amtlichen Vordrucke und Erläuterungen – im Einzelfall unterschiedlich ausgelegt werden kann.  Die Finanzgerichte neigen neuerdings dazu, sich eher auf die Seite der Steuerpflichtigen zu schlagen.

  • Schreib- oder Rechenfehler bei Erstellung einer Steuererklärung

Nach § 173a AO muss das Finanzamt erlassene Steuerbescheide ändern, soweit dem Steuerpflichtigen bei Erstellen seiner Steuererklärung ein Schreib- oder ­Rechenfehler unterlaufen ist. Auf grobes Verschulden kommt es hier nicht an, ebenso wenig auf die Erkennbarkeit des Fehlers für das Finanzamt.

Schreibfehler sind insbesondere Rechtschreibfehler, Wortverwechselungen oder Wortauslassungen oder fehlerhafte Übertragungen.

Rechenfehler sind insbesondere Fehler bei der Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division sowie bei der Prozentrechnung.

Ein solcher Schreib- oder Rechenfehler muss durchschaubar, eindeutig oder augenfällig sein. Das ist dann der Fall, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und deutlich als Schreib- oder Rechenfehler erkennbar ist und keine unrichtige Tatsachenwürdigung, kein Rechtsirrtum oder kein Rechtsanwendungsfehler vorliegt. Dafür trägt derjenige, der sich auf die Änderungsmöglichkeit des § 173a AO beruft (Steuerpflichtiger oder Finanzamt), die Feststellungslast.

Nur Schreib- oder Rechenfehler können zu einer Änderung des Bescheides führen, nicht hingegen Versehen des Steuerpflichtigen, auch nicht vergessene Eintragungen.  

Tipp: Vergessen, Ausgaben abzusetzen? Kein Beinbruch

Das ist kein Beinbruch, auch wenn die Einspruchsfrist schon lange abgelaufen ist. Sie können die Ausgaben nachträglich geltend machen, indem Sie sagen: "Ich habe nicht gewusst, dass ich diese Kosten absetzen kann". Das gilt aber nur, wenn Sie kein grobes Verschulden daran trifft, dass Sie dieses nicht gewusst haben. Dann berichtigt das Finanzamt den Steuerbescheid nachträglich zu Ihren Gunsten (§ 173 AO).

Als grobes Verschulden haben Sie aber nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Sie ist anzunehmen, wenn Sie die nach Ihren persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in nicht entschuldbarer Weise verletzt haben.

Nun gilt im Steuerrecht wie ansonsten auch der Grundsatz: Unwissen schützt vor Schaden nicht. Wenn Sie hätten wissen müssen, dass die vergessene Ausgabe oder die nicht beantragte Steuervergünstigung von Rechts wegen möglich ist, haben Sie die notwendige Sorgfaltspflicht verletzt und es bleibt alles wie bisher.  

Wenn aber in den Steuerformularen oder in der Amtlichen Anleitung abzugsfähige Ausgaben nicht genannt sind, brauchen Sie von deren Abzugsfähigkeit nichts gewusst zu haben (BFH-Urteile vom 29.6.1984 - VI R 181/80 - BStBl II, S. 693, und vom 10.8.1988 - IX R 219/84 - BStBl 1989 II, S. 131). So wurde einem steuerlich unbedarften Steuerzahler ein Hinweis in der Anleitung für den Hauptvordruck zum Verhängnis, dass Unterhaltsleistungen an den Lebenspartner abzugsfähig sind. Dies nicht gelesen zu haben wurde ihm als grob fahrlässig entgegen gehalten (FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil vom 30.06.2010 - 2 K 742/09, Revision eingelegt, Aktenzeichen des BFH: VI R 5/11).

Allerdings konnte ein Kraftfahrzeugsachverständiger den Bundesfinanzhof davon überzeugen, er habe erst lange Zeit nach Erhalt der Steuerbescheide erfahren, dass Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer abzugsfähig seien (BFH v. 22.5.1992 - VI R 17/91)

Ihre Chancen stehen also gut, wenn Sie nachträglich Kosten oder eine Steuervergünstigung geltend machen, die in den Formularen oder in der Amtlichen Anleitung nicht aufgeführt sind. Ein Steuerexperte kann sich darauf aber nicht berufen. Hier bewährt sich die Strategie derjenigen, die sich gegenüber dem Finanzamt in steuerlichen Dingen als völlig unbedarft darstellen.

Was vorkommen kann:

  • Schuldzinsen vergessen

Ein Steuerzahler hat vergessen, Schuldzinsen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung anzugeben. Kein grobes Verschulden, so der BFH im Urteil vom 10.08.1988 - IX R 219/84. Berichtigung des Bescheides möglich.

  • Außergewöhnliche Belastungen vergessen einzutragen?

Ein Steuerzahler hat einen Steuerberater mit seinem Fall betraut. Dieser hat leider keine außergewöhnlichen Belastungen eingetragen (BFH Urteil vom 03.12.2009 - VI R 58/07). Das darf einem Steuerberater nicht passieren, so der BFH. Er hätte nach außergewöhnlichen Belastungen fragen müssen. Bei selbst erstellter Steuererklärung wären die Aufwendungen nachträglich anerkannt worden. Also keine Berichtigung möglich.

  • Elster macht Berichtigung möglich

Ein Fall, der die Tücken des Elster-Steuerprogramms betrifft: Ein Notar hat seine Beiträge zur Notarversorgungskasse in Höhe von 18.457 € nicht als Vorsorgeaufwendungen geltend gemacht. Erst bei der Erstellung der Steuererklärung des Folgejahres bemerkte er seinen Fehler und beantragte daraufhin eine Änderung des mittlerweile bestandskräftig gewordenen Steuerbescheids wegen einer neuen Tatsache nach § 173 AO. Das Finanzamt lehnte eine Änderung mit Verweis auf grobes Verschulden ab, weil in der Anlage Vorsorgeaufwand Beiträge zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen genannt seien. Dies sah das FG Rheinland Pfalz  anders. Macht ein Steuerpflichtiger beim Ausfüllen seiner elektronischen Steuererklärung versehentlich unvollständige Angaben z. B. durch einen Eingabefehler, handelt er nicht grob fahrlässig. Die vielen Datenmasken und Fenster begünstigen Eintragungsfehler (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13.12.2010, 5 K 2099/09, nicht rechtskräftig). Also Berichtigung möglich.

♦   Änderung wegen unlauterer Mittel

Steuerbescheide können gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2c AO geändert werden, soweit sie durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden sind. Diesbezüglich hat die Vorschrift indessen in der Praxis keine große Bedeutung. 

Wohl aber in Fällen, in denen der zuständige Sachbearbeiter bestochen oder bedroht wurde und dieser daraufhin einen rechtswidrigen Steuerbescheid erlassen hat. Dieser kann dann nachträglich noch geändert werden.  

 ⇒   Fehler bei der Datenübermittlung durch Dritte

 Der Fiskus hat inzwischen viele Möglichkeiten, Dritte in das Besteuerungsverfahren einzubeziehen, insbesondere steuerlich relevante Daten anzufordern (§§ 93 ff AO).

Wenn der Steuerzahler beim Abgleich der Daten Fehler feststellt, die bei der Übermittlung der Daten durch Dritte Fehler unterlaufen sind, kann er eine Korrektur verlangen (§ 175b AO).