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Verfahrensrecht / Strafprozessordnung (Steuer)

In der Besteuerungspraxis werden in bestimmten Fällen die Besteuerungsgrundlagen geschätzt, meistens im Zusammenhang mit einem Steuerstrafverfahren. 

Nach § 162 AO darf eine Schätzung erfolgen, wenn Bücher und Aufzeichnungen, die zu führen sind, nicht vorgelegt oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nicht ordnungsmäßig sind. Die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, sind indessen der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden (§ 158 AO).

Es kann eine teilweise oder auch eine vollumfängliche Schätzung erforderlich sein. Die Steuerfahndung unternimmt eine zulässige Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, wenn der Steuerpflichtige die Mitwirkung verweigert (§§ 90 ff AO) oder wenn die Fahnder den Angaben keinen Glauben schenken.

♦    Buchführung nicht ordnungsgemäß?

Insbesondere wird eine Schätzung vorgenommen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen nicht ordnungsmäßig sind.

 

Nach § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen nicht ordnungsmäßig, wenn sie nicht den Buchführungsvorschriften der §§ 140-148 AO entsprechen.

  • Nach § 140 AO hat der Steuerpflichtige Bücher zu führen. Wenn er verpflichtet ist, nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzen Bücher und Aufzeichnungen zu führen, hat er diese Verpflichtung auch für die Besteuerung zu erfüllen.
  • Nach § 141 AO haben Gewerbetreibende und Land- und Forstwirte jährlich eine Bilanz zu erstellen, wenn Umsatz oder Gewinn bestimmte Grenzen übersteigen. Die Gewinngrenze liegt bei 60.000 €.
  • Nach den §§ 143 und 144 AO sind der Wareneingang und der Warenausgang gesondert aufzuzeichnen. Die Aufzeichnung des Warenausgangs ist nur bei Lieferung an gewerbliche Unternehmen verpflichtend.
  • Nach § 145 AO muss die Buchführung so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen. Die Aufzeichnungen sind so vorzunehmen, dass der Zweck, den sie für die Besteuerung erfüllen sollen, erreicht wird.
  • Nach § 146 AO sind die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sind täglich festzuhalten. Ausnahme: Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung. Letzteres  gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige ein elektronisches Aufzeichnungssystem im Sinne des § 146a AO verwendet.

♦   Steuerpflichtige im Zwiespalt

Im Steuerstrafverfahren kann der Steuerpflichtige umfänglich von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen.

Im parallel laufenden Verfahren zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen ist der Steuerpflichtige zur Mitwirkung verpflichtet.

Der Zwiespalt: Einerseits muss der Prüfungsbeamte dem Beschuldigten im Steuerstrafverfahren sein prozessuales Recht, keine Angaben zu machen, erhalten. Andererseits sind steuerrechtliche Ermittlungen ohne Mitwirkung des Steuerzahlers / Beschuldigten praktisch nicht möglich.

Der Gesetzgeber löst diesen Konflikt, indem er den Beschuldigten trotz des bestehenden Steuerstrafverfahrens zum Auskunftspflichtigen macht (§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO). Es dürfen nur keine Zwangsmittel gegen ihn eingesetzt werden, wenn dies zu einer Selbstbelastung führen würde (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Wurde bereits ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, ist stets von der Gefahr einer Selbstbelastung auszugehen (§ 393 Abs. 1 Satz 3 AO).

  • Schätzung droht!

Der Steuerzahler ist somit trotz des eingeleiteten Steuerstrafverfahrens nicht von seiner Mitwirkungspflicht befreit, vielmehr kann diese nur nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden.  Zu den Zwangsmitteln gehören Zwangsgeld, Ersatzvornahme, unmittelbarer Zwang / § 328 AO, nicht indessen die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 Abs. 1 AO). Die Schätzung ist häufig die notwendige Folge, wenn der Beschuldigte seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt.

  • Strafschätzungen vermeiden

Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen wird vom Beschuldigten vielfach als Strafe empfunden, weil die Steufa dabei meistens an die höchstmögliche Grenze dessen geht, was eben noch möglich erscheint. Als Rechtfertigung dafür wird dann angeführt, der Beschuldigte habe die hohe Schätzung sich selbst zuzuschreiben. Würde er seiner Mitwirkungspflicht ordnungsgemäß nachkommen und entsprechende Angaben machen, wäre eine Schätzung entbehrlich und es käme zu einer geringeren Steuerfolge.

♦   Verfahrensstrategie

Schätzungen müssen in sich schlüssig, ihre Ergebnisse wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (Tippke / Kruse zu § 162 AO).

Weil jeder Schätzung eine gewisse Unsicherheit anhaftet, sollte der Steuerpflichtige bzw. sein Berater versuchen, mit den Prüfern eine Einigung zu erreichen, um dadurch einen Rechtsstreit zu vermeiden. Denn die Erfahrung zeigt, dass eine einvernehmliche Schätzung für den Steuerzahler positiver ausfällt als eine streitige. Denn bei einer Schätzung sind Unsicherheitsaufschläge zulässig. Diese können ggfs. bei einer einvernehmlichen Schätzung entfallen. 

  • Schätzungsmethoden

Ergibt die durchgeführte Kontrolle der Buchführung, dass diese nicht ordnungsgemäß und daher zu verwerfen ist, kommt es im zweiten Schritt zur schätzungsweisen Ermittlung des Gewinns.

Gängige, in der Besteuerungspraxis häufig anzutreffende Schätzungsmethoden sind insbesondere

  • die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen auf Vorjahresbasis,
  • Schätzung nach Richtsätzen,
  • Schätzung bei Kassenfehlbeträgen,
  • Schätzung nach spontaner Kassen-Nachschau,
  • Schätzung nach Geldverkehrsrechnung,
  • Schätzung nach Vermögenszuwachsrechnung,
  • Schätzung nach Chi-Quadrat-Test.

Wichtig: Die Schätzung muss, soll sie vor dem Finanzgericht Bestand haben, sich auf mindestens zwei Ergebnisse stützen. Ist die Buchführung z. B. nicht ordnungsmäßig und zu verwerfen, kann dies allein nicht so ohne Weiteres eine Schätzung rechtfertigen. Vielmehr muss dies noch anhand von anderen konkreten Tatsachen, z. B. durch einen Vermögensvergleich oder durch eine Nachkalkulation untermauert werden.

Stützt sich hingegen die Schätzung nur auf einen Mangel, besteht die Chance, im Streit- und Verhandlungsgesprächen die Besonderheit des Einzelfalls herauszuarbeiten und dadurch die Schätzung zu erschüttern.

♦   Tipp Anspruch auf rechtliches Gehör einfordern

Bei Schätzung von Umsatz und Gewinn muss dem Stpfl. Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden, d. h. dem Stpfl. ist  rechtliches Gehörs gem. § 91 AO / Anhörung Beteiligter zu gewähren (BFH Beschluss vom 28. Mai 2020, X B 12/20).

Im Streitfall wurde bei einer Außenprüfung einer Diskothek vom Prüfer die Kassen- und Buchführung als nicht ordnungsgemäß verworfen. Aus diesem Grund verprobte der Prüfer die Getränkeumsätze und ermittelte einen effektiven Rohgewinnaufschlagsatz von knapp 300 %, der erheblich von denjenigen Sätzen abwich, die den Gewinnermittlungen des Klägers zu entnehmen waren. Es kam in zwei Prüfungsjahren zu Hinzuschätzungen zum Umsatz von 417.000 € bzw. 247.000 €. Dabei griff der Prüfer auf eine nur für den Dienstgebrauch bestimmte Quelle aus dem juris-Rechtsportal ("Fachinfosystem Bp NRW") zurück, ohne zuvor die hieraus entnommenen Erkenntnisse dem Stpfl. inhaltlich in der gebotenen Weise zugänglich gemacht zu haben.

Damit ist der Anspruch des Stpfl. auf rechtliches Gehör verletzt (§ 91 AO). Der Anspruch auf rechtliches Gehör gem. § 91 AO umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Zur Wahrung dieses Äußerungsrechts ist das Finanzamt verpflichtet, die Beteiligten über alle ihm zugänglich gemachten und für seine Entscheidung zur Verfügung stehenden Tatsachen und Beweisergebnisse uneingeschränkt zu informieren (Beschluss des BVerfG vom 15.08.2014 - 2 BvR 969/14). Dies gilt unabhängig davon, ob eine anschließende Äußerung der oder des Beteiligten im konkreten Fall Einfluss auf das Entscheidungsergebnis gewinnen kann oder nicht.

Die auf der Schätzung beruhenden Bescheide waren damit aufzuheben. Es musste neu verhandelt werden.

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ʘ 17.06.2021