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Anlage N
Zusammenfassung / Begriff
Kernpunkt des steuerlichen Reisekostenrechts ist die erste Tätigkeitsstätte. So entstehen Reisekosten nur, wenn eine berufliche Auswärtstätigkeit außerhalb der ersten Tätigkeitsstätte und der Wohnung ausgeübt wird.
Aber auch ohne erste Tätigkeitsstätte übt ein Arbeitnehmer bei beruflichen Tätigkeiten außerhalb seiner Wohnung eine berufliche Auswärtstätigkeit aus, etwa als Kundendienstmitarbeiter oder als Berufskraftfahrer.
Erste Tätigkeitsstätte ist mit steuerlichen Nachteilen verbunden. Denn für Fahrten zur ersten Tätigkeitsstätte wird nur die Entfernungspauschale angesetzt.
Ohne erste Tätigkeitsstätte können statt der Entfernungspauschale Reisekosten abgezogen werden, die Erstattung von Reisekosten durch den Arbeitgeber ist steuerfrei (§ 3 Nr. 13 und 16 EStG). Wie sich eine erste Tätigkeitsstätte vermeiden lässt und wer davon profitiert, dazu unten mehr.
♦ Erste Tätigkeitsstätte
Von einer ersten Tätigkeitsstätte ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmer einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers dauerhaft zugeordnet ist (§ 9 Abs. 4 Satz 1 EStG).
Der Begriff der ersten Tätigkeitsstätte setzt somit voraus:
Dies bedeutet:
Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden (BFH Urteil vom 04.04.2019 - VI R 27/17).
Zuordnung
Eine Zuordnung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt.
Nach der gesetzlichen Konzeption wird die erste Tätigkeitsstätte vorrangig anhand der arbeits(vertrag)- oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bestimmt, hilfsweise mittels quantitativer Kriterien (BFH Urteil vom 11.04.2019 - VI R 40/16).
Zu den arbeits- oder dienstrechtlichen Weisungen und Verfügungen zählen alle schriftlichen, aber auch mündlichen Absprachen oder Weisungen (BTDrucks 17/10774, S. 15). Die Zuordnung kann also insbesondere im Arbeitsvertrag oder durch Ausübung des Direktionsrechts kraft der Organisationsgewalt des Arbeitgebers vorgenommen werden.
Die Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte muss dabei nicht ausdrücklich erfolgen. Sie setzt auch nicht voraus, dass sich der Arbeitgeber der steuerrechtlichen Folgen dieser Entscheidung bewusst ist. Wird der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber einer betrieblichen Einrichtung zugeordnet, weil er dort seine Arbeitsleistung erbringen soll, ist diese Zuordnung aufgrund der steuerrechtlichen Anknüpfung an das Dienst- oder Arbeitsrecht vielmehr auch steuerrechtlich maßgebend. Deshalb bedarf es neben der arbeitsrechtlichen Zuordnung zu einer betrieblichen Einrichtung keiner gesonderten Zuweisung zu einer ersten Tätigkeitsstätte für einkommensteuerrechtliche Zwecke. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung des steuerlichen Reisekostenrechts auch das Auseinanderfallen der arbeitsrechtlichen von der steuerrechtlichen Einordnung bestimmter Zahlungen als Reisekosten verringern (BTDrucks 17/10774, S. 15). Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers tätig werden sollte (BFH Urteil vom 10.04.2019 - VI R 6/1).
Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden (ebenso Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 11). Die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle nach der Finanzgerichtsordnung zugelassenen Beweismittel möglich und durch das FG im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll (BFH Urteil vom 10.04.2019).
Ob im Einzelfall unter Anwendung der dargelegten Grundsätze eine (dauerhafte) Zuordnung vorliegt, ist grundsätzlich Tatfrage und als solche vom Finanzgericht zu beurteilen. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob das Finanzgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung von zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH Urteil s. vom 26.10.2022 - VI R 48/20).
Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, nicht an.
Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören (BFH Urteil vom 04.04.2019 - VI R 27/17).
Als erste Tätigkeitsstätte kommen nur ortsfeste betriebliche Einrichtungen infrage. Ortsfeste Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Betriebsmittel, die dem Arbeitgeber gehören und überwiegend standortgebunden genutzt zu werden (BFH Urteil vom 04.04.2019 - VI R 27/17).
Als erste Tätigkeitsstätte gelten zunächst die Betriebsstätte, eine Filiale, ein Zweigbetrieb des Arbeitgebers, Büro oder Werkstatt, aber auch Bus- oder Straßenbahndepots sowie Fahrkartenverkaufsstellen, ein weiträumiges Gebiet, etwa ein Waldgelände, eine Werksanlage, ein Betriebsgelände, ein Bahnhof, ein Seehafen oder ein Flughafen
Als erste Tätigkeitsstätte gilt auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird (§ 9 Abs. 4 Satz 8 EStG). Dies gilt nicht für Auszubildende im Dualen System (Ausbildungsdienstverhältnis), die eine Berufsschule aufsuchen.
Die ortsfeste betriebliche Einrichtung muss nicht die Kriterien eines Gebäudes erfüllen. Auch Container können als erste Tätigkeitsstätte des Arbeitnehmers sein, sofern es sich um dauerhafte betriebliche Einrichtungen handelt, etwa Baubüros oder Einrichtungen lediglich zum Aufenthalt der Arbeitnehmer.
Ein Schiff bzw. Marineboot kann keine erste Tätigkeitsstätte sein, weil nicht ortsfest. Dasselbe gilt für Fahrzeuge, wie Lkw einer Spedition, Reise- oder Linienbus, Züge, Straßenbahnen und andere Schienenfahrzeuge, aber auch Flugzeuge.
Deshalb können Reisekosten geltend machen: Berufskraftfahrer, Beifahrer, Binnenschiffer, Müllfahrzeugführer, Lokführer, Zugbegleitpersonal, Linienbusfahrer, Taxifahrer.
Ein häusliches Arbeitszimmer ist keine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers und somit keine erste Tätigkeitsstätte. |
Weitere Voraussetzung für eine "erste Tätigkeitsstätte" ist, dass der Arbeitnehmer einer der oben genannten betrieblichen Einrichtungen dauerhaft zugeordnet ist (§ 9 Abs. 4 S. 2 EStG)
Als "dauerhaft" gilt nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Tätigkeit,
Fehlt eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte oder ist sie nicht eindeutig, ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft
♦ Weiträumiges Tätigkeitsgebiet als erste Tätigkeitsstätte
Als erste Tätigkeitsstätte gilt im Zusammenhang mit der Regelung von Dienstreisen auch "das weiträumige Tätigkeitsgebiet“ (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a Satz 3 EStG).
Soll der Arbeitnehmer auf Grund der Weisungen des Arbeitgebers seine berufliche Tätigkeit typischerweise arbeitstäglich in einem weiträumigen Gebiet ausüben, ist für die Fahrten von der Wohnung zu diesem Gebiet nur die Entfernungspauschale anzusetzen.
Als Entfernung für die Entfernungspauschale ist die regelmäßig Strecke zwischen Wohnung und Zugang zum weiträumigen Tätigkeitsgebiet. Wird das weiträumige Tätigkeitsgebiet immer von verschiedenen Zugängen aus betreten oder befahren, ist aus Vereinfachungsgründen nur die Strecke von der Wohnung zum nächstgelegenen Zugang die Entfernungspauschale zu berücksichtigen.
Seehafen, Flughafen, Bahnhof, Werksanlage, Betriebsgelände, Zechengelände, Bahnhof, Forstgebiet, Zustellgebiet für Zusteller, Beschäftigte einer Polizeidienststelle für Streifenpolizisten, Beschäftigte im Ordnungsamt einer Gemeinde.
Fahrtkosten: Für alle Fahrten innerhalb des weiträumigen Tätigkeitsgebiets oder Fahrten von der Wohnung zu einem weiter entfernten Zugang, sind die tatsächlichen Aufwendungen zu berücksichtigen oder der sich am BRKG orientierende maßgebliche pauschale Kilometersatz von 0.30 € je gefahrenen km. |
Verpflegungsmehraufwendungen können nur Arbeitnehmer geltend machen, die in dem weiträumigen Tätigkeitsgebiet keine feste Anlaufstelle / erste Tätigkeitsstätte haben. Dies gilt z B. für Müllwerker einschließlich des Fahrzeugführers und Forstarbeiter, nicht hingegen für Polizeibeamte im Streifendienst oder Postzusteller (keine Verpflegungspauschale). |
♦ Einzelberufe
Als Entfernung für die Entfernungspauschale ist die regelmäßig Strecke zwischen Wohnung und Zugang zum weiträumigen Tätigkeitsgebiet.
Die Fahrten innerhalb des Waldgebietes können mit den tatsächlichen Kosten oder aus Vereinfachungsgründen mit dem pauschalen Kilometersatz in Höhe von 0,30 EUR je tatsächlich gefahrenem Kilometer berücksichtigt werden.
Forstarbeiter haben innerhalb des Forstgebietes keine feste Anlaufstelle / erste Tätigkeitsstätte. Somit steht ihnen der Abzug einer Verpflegungspauschale zu
Auch diese haben in der Dienstelle / Wache ihre erste Tätigkeitsstätte (BFH Urteil vom 4.4.2019 – VI R 27/17). Die Beamten haben keinen Anspruch auf die Verpflegungspauschale.
Eine berufliche Auswärtstätigkeit liegt auch dann vor, wenn Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Auswärtstätigkeiten (nahezu) ausschließlich auf Fahrzeugen eingesetzt werden. Weitere Voraussetzung für die Gewährung von Reisekosten ist an dieser Stelle, dass der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte im Betrieb hat.
Wer somit ausschließlich auf Fahrzeugen arbeitet, kann Reisekosten abziehen bzw. die Erstattung von Reisekosten durch den Arbeitgeber ist steuerfrei, weil Fahrzeuge keine ortsfesten Einrichtungen sind (R 9 Abs. 2 Satz 2 LStR).
Aufgrund der arbeitsrechtlichen Festlegung begründet das Fahrzeugdepot als ortsfeste Einrichtung des Arbeitgebers die erste Tätigkeitsstätte des Lkw-Fahrers. Die Wochentour mit dem LKW ist eine begünstigte berufliche Auswärtstätigkeit. Die Fahrten können als steuerfreie Reisekosten abgerechnet werden.
Die Fahrten zwischen Wohnung und Fahrzeugdepot dürfen dagegen nur in Höhe der Entfernungspauschale berücksichtigt werden.
Übernachtungspauschale für Fernfahrer
Anstelle der tatsächlichen Aufwendungen, die dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Übernachtung in dem Kraftfahrzeug entstehen, kann im Kalenderjahr einheitlich eine Pauschale von 8 € für jeden Reisetag berücksichtigt werden (§ 9 Abs. 1 Nr. 5b Satz 2 EStG).
Beispiel:
Ein LKW-Fahrer / Fernfahrer ist jeweils von Montag bis Freitag ausschließlich mit seinem LKW unterwegs. Den LKW übernimmt er jeweils am Montagmorgen am Fahrzeugstandort seines Arbeitgebers, wo er ihn am Freitagmittag übers Wochenende im firmeneigenen Fahrzeugdepot wieder abstellt. Im Anstellungsvertrag ist der Betriebsstandort des Arbeitgebers als erste Tätigkeitsstätte festgelegt.